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Neuerscheinungen 2015

Stand: 2020-02-01
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Martin Petsch

Die Architektur des Rationalismus und Faschismus im "Großvenedig" der 1930er Jahre


Erstauflage. 2015. 188 S. 86 Abb. 220 mm
Verlag/Jahr: DISSERTA 2015
ISBN: 3-9593503-2-5 (3959350325)
Neue ISBN: 978-3-9593503-2-7 (9783959350327)

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Venedig wird im Allgemeinen mit dem romantischen Bild der von Kanälen durchzogenen mittelalterlichen Stadt verbunden, nicht aber mit dem einer modernen Großstadt. Zahlreiche Großmaßnahmen brachten es in der faschistischen Ära auf eben diesen Weg. Eine entscheidende Rolle bei der baulichen Umsetzung spielte die rationalistische Architektur. Die modernen Bauten, die in dem kurzen Zeitfenster von fünf Jahren zwischen 1933 und 1938 entstanden, legen Zeugnis für den ersten Einbruch der Moderne in Venedig ab.

Es wird aufgezeigt, dass die Durchsetzung des Faschismus in Venedig und die Umsetzung der Idee eines Großvenedigs in den 1930er Jahren die Voraussetzungen für die Entstehung der rationalistischen Architektur in der Stadt waren, welche das weite Spektrum der faschistischen Ideologie inhaltlich und formal widerspiegelt.
Textprobe:
Kapitel 2, Die Architekturströmungen im faschistischen Italien:
Das faschistische Italien Mussolinis hatte im Gegensatz zum nationalsozialistischen Deutschen Reich keine einheitliche Kultur- und Kunstideologie hervorgebracht. Das Regime war weder in der Lage, noch hatte es die Absicht Entscheidungen hinsichtlich einer faschistischen Kunst zu treffen. Durch eine Politik der Zurückhaltung und geschickten Einflussnahme förderte es unterschiedliche, auch moderne künstlerische Bewegungen, die sich durch einen aggressiven Nationalismus auszeichneten und so mit der eigenen Ideologie konform liefen. Verschiedene Strömungen beanspruchten daher, die faschistische Staatskunst zu repräsentieren. Das gemeinsame Streben nach einer bildlichen Darstellung des Faschismus und die Integrationspolitik des Regimes führten oft zu einer stilistischen Annäherung gegensätzlicher Tendenzen. Entsprechend konnten sich in den 1920er Jahren verschiedene Architekturauffassungen ausbilden, die Mussolini in Konkurrenz zueinander treten ließ, damit sich ein Stil entwickeln konnte, der das etablierte faschistische Regime am besten darzustellen vermochte.
Bis weit in die 1920er Jahre war die italienische Architektur noch durch einen eklektischen, akademischen Historismus in der Form des späten Ottocento geprägt. Obwohl sich der Faschismus betont vom vorangegangenen liberal-parlamentarischen System absetzen wollte, bediente er sich in der Anfangszeit der Architekten und des Stils dieser Zeit. Erst zu Beginn der 1920er Jahre zeichneten sich die ersten Versuche zur Erneuerung der Architektur durch die Vertreter des Mailänder Novecento ab.
Der Novecento war eine Gruppe von bildenden Künstlern, die 1922 von der Kunstkritikerin Margherita Sarfatti formiert wurde, sich aber auch schon vorher um die 1919 gegründeten Zeitschriften ´Valori Plastici´ und ´La Ronda´ gebildet hatte. Zu dem Kreis gehörten u.a. Carlo Carrà, Giorgio De Chririco, Alberto Savinio und Mario Sironi. Zwar vertraten die Künstler ganz unterschiedliche stilistische Formen, gemeinsam war ihnen jedoch das Ziel einer neuen italienischen Kunst, die sich von Liberty und Eklektizismus ebenso abgrenzte wie von ausländischen Tendenzen. Sie sollte zugleich modern und traditionell sein, indem sie als Ausdruck der gegenwärtigen Epoche auf den Werten der klassischen Tradition basierte. In engem Kontakt mit dieser Gruppe stand der Architekt Giovanni Muzio, welcher deren Vorstellungen von einer Erneuerung der Kunst teilte. Um ihn bildete sich ein Kreis von Architekten, die eine moderne italienische Architektur schaffen wollten, darunter Giuseppe de Finetti, Mino Fiocchi, Emilio Lancia, Gio Ponti, Giuseppe Pizzigoni, Ferdinando Raggiori und Gigiotti Zanini. Sie zogen ihre Inspiration aus der klassizistischen Architektur Mailands vom Ende des 18. und vom Anfang des 19. Jahrhunderts, jedoch nicht in Form von Imitationen, sondern im freien Umgang. Im Zentrum stand die Treue zur italienischen Identität, das Streben nach Wiederbehauptung und Stärkung der italienischen Kultur. Die klassischen Epochen entsprachen ihrem Verlangen nach Ordnung und stilistischer Kontinuität. Die Klassik war für die Novecentisten nicht nur stilistische Inspirationsquelle, sondern in der Übernahme humanistischer Werte auch deren Geisteshaltung.
Als erstes bauliches Manifest des Novecento-Stils wurde 1922-23 die spöttisch sogenannte Ca´Brütta gebaut, die Muzio seit 1919 federführend im Büro V. Colonnese und P. Barelli erarbeitet hatte. Die Wohnblöcke sind durch traditionelle Formen und Gesetzmäßigkeiten geprägt, sie wurden aber in ganz neuer Art und Weise angewandt. Es handelt sich nicht um eine eklektische Zusammenstellung historischer Zitate, sondern um eine freie Komposition von Fragmenten, die aus der klassischen italienischen Tradition des Cinquecento bis Ottocento entnommen, aber nicht kopiert wurden. Muzio verzichtete auf vorfabrizierten, standardisierten und applizierten Zement-Dekor akadem