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Neuerscheinungen 2012

Stand: 2020-01-07
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Pali Meller, Dorothea Zwirner (Beteiligte)

Papierküsse


Briefe eines jüdischen Vaters aus der Haft 1942/43
Herausgegeben von Zwirner, Dorothea
2012. 133 S. m. 11 Dok. u. Faks. u. 16 Fototaf. 201 mm
Verlag/Jahr: KLETT-COTTA 2012
ISBN: 3-608-94699-3 (3608946993)
Neue ISBN: 978-3-608-94699-4 (9783608946994)

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"Bald habe ich Geburtstag und werde keinen Gutenmorgenkuss von Euch haben. Aber geschenkt wird nichts! Heb ihn mir gut auf - eines Tages komme ich und hole mir alle versäumten Küsse... Bis dahin bleibt es bei Papierküssen - und davon schickt Dir diesmal 365 Stück Dein Dich liebender Papa."

"Ich bin weit weg und dahin, wo ich jetzt bin, führt kein Weg für kleine Kinder. Aber denke daran, wie es anderen Kindern geht: die meisten Väter sind im Krieg, sind oft schon Jahre weg, und können nicht mal so oft schreiben wie ich."

Ein bewegendes Dokument der Menschlichkeit in Zeiten des Hasses
Bisher kaum erforscht: Juden in deutschen Haftanstalten in der NS-Zeit
Meine Lieben!
Ihr habt jetzt lange nichts von mir gehört und wart sicher
schon in Sorge. Aber dazu habt Ihr keinen Grund, denn es geht mir gut, und ich
denke viel an Euch; auch träume ich oft von Spaziergängen und lustigen Sachen,
die wir zusammen unternehmen, und so lässt sich die Trennung schon ganz schön
überbrücken.

Ich habe von Barbaras großem Erfolg gehört, und Ihr könnt Euch denken, wie
gerne ich dabei gewesen wäre. Aber ich kann ruhig behaupten, dass ich dabei war,
so stark habe ich mir jede Bewegung vorgestellt. Wie im Film.

Nun Alte! Ich gratuliere Dir. Ich nehme an, dass Pila zu Ehren dieser
Premiere ein Gedicht geschrieben hat, und es wäre schön, wenn Ihr mir dies
schicken wolltet. Ich habe die Zeitungen so ziemlich verfolgt, aber ich fand
keine Kritik über "Betas Solisten". Wenn Ihr eine habt, so schickt sie mir ein.
Auch von Rainers Doktorat habe ich gehört.1 Meine Glückwünsche für
das Wunder! Er muss jetzt nur achtgeben, damit er nicht größenwahnsinnig wird.
Ich freue mich jedenfalls mit ihm. Furchtbar finde ich Peters Tod!2
Furchtbar auch das Schicksal der Frau, die Frau noch war. Viele trifft jetzt
dies Los, aus dem es kein Zurück mehr gibt. Wie schnell sagt man im Leben auf Geschehnisse, die selbstverschuldet oder schicksalhaft sind (darf man diese
Trennung überhaupt machen?), dass sie "furchtbar" sind! Furchtbar ist nur der
Tod wegen seiner Endgültigkeit, Unwiderruflichkeit! Alles was vergänglich ist
(im Sinne der Zeit), ist tragbar. Ob schwer, ob leicht hängt von der Stärke der
Seele ab! Es gibt sicher Menschen, die nicht zu brechen sind.

Es kann sein, dass ich noch lange von Euch fortbleibe. Aber ich werde Euch
schreiben, und ich werde auch von Euch hören. Ihr 3 müsst aber wie Pech und
Schwefel zusammenhalten, und ihr müsst Franzi blind gehorchen. Auf ihr ruht
jetzt alles, sie ist jetzt der Kapitän.

Wenn Ihr Poelzigs3 schreibt oder Ella4, so grüßt
herzlich von mir und überbringt mein Beileid an Prof. Bartning. Euch 3 umarmt in
großer Liebe Papa Meine Lieben! Wie habe ich mich mit Eurem Brief gefreut!
Franzi wollte wohl Tinte sparen und schrieb nicht, dafür war aber Barras
Tintenbrief die große Sensation. Für Deinen Brief, Pila, muss ich extra danken!
Auch will ich auf ihn näher eingehen, auch auf Deine Gedichte. So ein
tagebuchartiger Brief ist für mich die einzige Form, in der ich etwas
mitzuerleben fähig bin, und Du weißt, dass ich nur Geschichten liebte, die so
begannen: "also, wir sind aufgestanden ... etc."

Diese Form beherrschst Du meisterhaft, und ich hoffe, dass ich recht bald den
zweiten Teil bekomme. Auch über Barras Auftreten, da ich keinen Bericht bis
jetzt darüber habe. Im Brief wie im Gedicht klingt eine gewisse Wehmut, die zu
beherrschen Dir nicht ganz gelingt. Ich weiß, Du hast es nie leicht gehabt und
empfindest die jetzige Trennung von mir schmerzlich. Dazu ist kein Grund, denn
geistig sind wir bei einander, und ein anderes Beieinandersein gibt es nicht,
wenn man den Dingen auf den letzten Grund geht. Also Kopf hoch, was auch
geschieht, es lebe das Familienlied. So bin ich selbst zum Reimen gekommen, was
mich gut zu Deinen Gedichten überleitet: Also! Dein Gedicht ist sehr schön, die
Stimmung echt, ja sogar so echt, dass ein Freund von mir (über den ich noch
schreiben werde) beim Lesen des Gedichtes sagte: "Eine Stimmung wie in Zingst".
Nur spielst Du etwas viel mit Worten, treibst Wortakrobatik, hast zu viele
Farben auf der Palette, bist zu reich und verlierst viel an Klarheit. Das
Gedicht II (Alltag) gut im Schwung, inhaltlich etwas müde und enttäuscht für
Deine 11 Jahre, geht so weit, Worte zu erfinden!! Was ist "Grunden"?? Es reimt
sich zwar auf verschwunden, aber das ist auch alles. Das Wort am Ende des
Gedichts gibt ihm Inhalt! Wenn ein Satz l00 Worte hat, davon sind 99 sinnvoll
und das letzte sinnlos, so fällt das ganze Gebäude zusammen. Also mein Alter!
Etwas zurücksc