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Emile Ajar, Émile Ajar, Romain Gary, Christoph Roeber (Beteiligte)

Du hast das Leben vor Dir


Roman. Ausgezeichnet mit dem Prix Goncourt
Übersetzung: Roeber, Christoph
2., Neuausg. 2018. 248 S. 21 cm
Verlag/Jahr: ROTPUNKTVERLAG, ZÜRICH 2018
ISBN: 3-85869-761-3 (3858697613)
Neue ISBN: 978-3-85869-761-5 (9783858697615)

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Sie kennen Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran? In Romain Garys Kultbuch gab er schon als Monsieur Hamil erfolgreich sein Debüt.
Der Araberjunge Momo lebt im Pariser Stadtviertel Belleville gemeinsam mit anderen Ziehkindern bei Madame Rosa, einer alten Prostituierten, die als Jüdin in Auschwitz war. Unwissend, wie alt er ist, wer seine Eltern sind, macht er sich auf ihre Äußerungen und die anderen Härten des Lebens seinen Reim. Mit großen Augen streunt er durch die Straßen, lässt sich von reichen Frauen ansprechen. Mit Monsieur Hamil, dem Teppichhändler, der alles gesehen hat, tauscht er sich über die Liebe aus, und die angeschlagene Madame Rosa, die einen Aufzug verdient hätte, hievt er die Stufen des sechsstöckigen Hauses hinauf, in dem Huren, Transvestiten, Waisen, Schwarze und Araber zusammenleben. Als ihr Tod naht, begleitet er sie in ihr "jüdisches Versteck" im Keller.
"Du hast das Leben vor dir" löste 1975 in der französischen Literaturwelt einen nie da gewesenen Skandal aus. Romain Gary hatte seinen Roman über die Beziehung zwischen dem Araberjungen und der jüdischen Ex-Prostituierten unter dem Pseudonym Émile Ajar veröffentlicht und erhielt dafür zum zweiten Mal den Prix Goncourt - was die Regeln des renommierten Literaturpreises verbieten. In über 30 Sprachen übersetzt und mehrfach verfilmt, wurde es Garys erfolgreichstes Buch. Die Neuübersetzung von Christoph Roeber gibt der Erzählstimme des heranwachsenden Momo einen zeitgemäßen Ton.
"Weißt du, was das ist, eine Hure?"
"Die schlagen sich mit ihrem Arsch durch."
"Also ich frage mich, wo du so schauerliches Zeug herhast, aber du hast natürlich nicht ganz unrecht mit dem, was du sagst."
"Sie auch, Madame Rosa? Haben Sie sich auch mit ihrem Arsch durchgebracht, als Sie jung und schön waren?"
Sie lächelte, denn es freute sie zu hören, dass sie einst jung und schön war.
"Du bist ein guter Kleiner, Momo, aber jetzt sei still. Hilf mir. Ich bin alt und krank. Seit ich aus Auschwitz raus bin, hab ich nur
Scherereien."
Sie war so traurig, dass gar nicht mehr zu sehn war, wie hässlich sie war. Ich hab ihr den Arm um den Hals gelegt und sie an mich gedrückt. Auf der Straße hieß es immer, sie ist eine herzlose Frau, und es stimmte, es kümmerte sich halt niemand um ihr Herz. Sie hatte fünfundsechzig Jahre lang ohne Herz durchgehalten und in manchen Momenten musste man ihr einfach verzeihen.
Sie weinte so sehr, dass ich schiffen musste.
"Verzeihen Sie, Madame Rosa, aber ich muss mal schiffen."
Danach meinte ich zu ihr:
"Okay, Madame Rosa, ich hab verstanden, das mit meiner Mutter wird nichts, aber können wir dann nicht wenigstens einen
Hund haben?"
"Wie bitte? Du glaubst, hier drin ist noch Platz für einen Hund? Und wie füttere ich den? Wer bezahlt für den am Monatsende?"
Aber als ich einen grauen kraushaarigen Pudel im Hundezwinger in der Rue Calefeutre klaute und mit nach Hause brachte, da
hat sie nichts gesagt. Ich bin rein in den Zwinger, hab gefragt, ob ich den mal streicheln darf, und als ich den Ich-weiß-wie-Blick
aufgesetzt hab, hat die Besitzerin ihn mir gegeben. Ich hab ihn genommen und ein bisschen gestreichelt, und dann bin ich abgehauen, schneller als der Wind. Wenn ich was kann, dann ist es rennen. Ohne gehts nicht im Leben.