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Neuerscheinungen 2018

Stand: 2020-02-01
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Manfred J. Foerster

Essays zur politischen Kultur deutscher Vergangenheit und Gegenwart


Zerstörung des Ich-Ideals und die Ungewissheit der Zivilisation
2018. 224 S. 220 mm
Verlag/Jahr: DISSERTA 2018
ISBN: 3-9593548-3-5 (3959354835)
Neue ISBN: 978-3-9593548-3-7 (9783959354837)

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Freud zufolge hat das christlich-jüdische Gottesverständnis dazu beigetragen, entgegen archaischen Sinndeutungen und Begründungen, dass das Soziale sowie die Grundanliegen einer universalistischen Humanitas sich im historischen Kulturprozess über die Jahrhunderte hinweg bis zur Aufklärung entwickeln konnten. Hierauf beruht unser gesellschaftliches Regel- und Normensystem.
Bereits der Anthropologe Arnold Gehlen sah darin die institutionell notwendige Verankerung des Menschen als ein "Mängelwesen" inmitten der ihn umgebenden Natur und Welt.
Die Ideen der Aufklärung und der Französischen Revolution haben demzufolge wesentlich zur Vorherrschaft der Vernunft beigetragen und das Recht des Menschen auf Freiheit und Emanzipation eingeleitet. Hinter diese Errungenschaften zurückzufallen, hieße, den Weg in die Barbarei zu ebnen.
Textprobe:
Kapitel Verschiebungen moralischer Werte oder das Grauen der Wirklichkeit:
Hannah Arendt sprach im Zusammenhang mit den ungeheuerlichen Verbrechen des Dritten Reiches vom "Verweilen beim Grauen". Dieses Verweilen bezieht sich nicht nur auf die Analyse individueller Gründe und Verbrechen, sondern auch auf die politische Wirklichkeit jener Zeit, die eine beispiellose emotionale und intellektuelle Entmündigung des einzelnen zur Folge hatte. Täter und Mitläufer des Systems ließen sich widerstandslos entmündigen und ihrer eigenen Verantwortung, für das was sie taten, berauben. Eine derartige Entpersönlichung konnte nur infolge eines kollektivpsychischen Klimas geschehen, in der sich alle bisherigen Werte und Normen einer humanen Gesellschaftsordnung für viele als nicht mehr sonderlich tragbar herausgestellt hatten, insbesondere für diejenigen, die nicht mehr am gesellschaftlichen Integrationsprozeß teilhaben konnten. Anstatt ihr persönliches Heil in einen Individualismus zu suchen, der den unterschiedlichen Stärken der einzelnen Rechnung getragen hätten, flüchteten etliche von ihnen in eine amorphe Kollektivhaltung. Jene Gleichförmigkeit der Individuen und psychisch betrachtet der Charaktere, kam vor allem in den gigantomanischen Plastiken des Nazi-Bildhauers Arno Breker ebenso zum Ausdruck, wie durch die konturenlosen Aufmärsche der Massen anläßlich der Nürnberger Reichsparteitage. Dem totalen Herrschaftsapparat des Nazi-Regimes ist es gelungen, die Menschen in ihrer charakterlichen "Verschiedenheit und Pluralität so zu organisieren, als ob alle zusammen nur einen einzigen Menschen darstellten", ihnen gewissermaßen ihr unverwechselbares "Gesicht" zu nehmen, so daß die Reaktionen aller so aussahen, als ob sie nur einer Person zugehörig seien. Im Morden und Quälen der Opfer hoben sich die individuellen Unterschiede der Täter auf. Der einzelne wurde nur noch als unbedeutendes Mitglied der sogenannten Volksgemeinschaft gesehen, innerhalb derer, er von subjektiver Verantwortung freigesprochen wurde, vorausgesetzt sein Verhalten entsprach den Vorgaben des Regimes. Die Gleichmacherei in der Volksgemeinschaft diente nur der systematischen Vorbereitung zur Gleichmacherei der Täter und Opfer, bei der letztere ohne Ansehen der Person umgebracht wurden, gleichsam so, wie man Ungeziefer vernichtet. Die Verwendung dieser Metapher, so problematisch es auch klingen mag und so sehr sie auch gegen gewohnte Sprachregelungen verstößt, in Anbetracht der Tatsache der nationalsozialistischen Massentötungen unter Einsatz des Insektenvernichtungsmittels Zyklon B erscheint sie in ernüchternden Weise angebracht. Das eigentliche Grauen liegt darin, daß die Opfer bereits vorher vom Leben abgeschnitten waren, so als wenn sie nicht mehr existent seien. Ihnen wurde jede Menschlichkeit abgesprochen und ihre Vernichtung nur der logische Schritt am Ende einer systematischen Zerstörung ihrer ursprünglichen Identität war. Ihrer körperlichen Vernichtung ging eine jahrelange soziale Zerstörung ihrer bedeutsamen Lebensgrundlagen voraus. Für die Opfer bedeutete dies die restlose Aberkennung, Teil der menschlichen Gemeinschaft zu sein, für die Täter und Verfolger hingegen die Aufkündigung ihrer eigenen Existenz als sozial verantwortliche Wesen, auf deren Solidarität normalerweise eine Gesellschaft nicht verzichten kann, es sei denn, sie ist bereit, sich selbst zu zerstören. Vorangegangen waren diesem Zerfallsprozeß eine unvorstellbare Verrohung des Humanen durch Wort und Schrift, von dem bereits hier und an anderer Stelle ausführlicher die Rede war. Die Normen des historischen Ich-Ideals verloren zunehmend an Bedeutung für die Lebensgestaltung des einzelnen, stattdessen hielt man Ausschau nach übermächtigen Vaterfiguren und identifizierte sich mit totalitären Institutionen des Terrors, wie die SS oder die SA, die NSDAP oder die Gestapo, an deren Normen und inhaltlichen Vorgaben man seine Handlungen auszurichten