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Stand: 2020-02-01
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Stephan Bäumer

Suizid - ein gesellschaftliches Phänomen. Kulturvergleichende Betrachtung in Südkorea und Deutschland


2018. 88 S. 14 Abb. 220 mm
Verlag/Jahr: DIPLOMICA 2018
ISBN: 3-9614668-4-X (396146684X)
Neue ISBN: 978-3-9614668-4-9 (9783961466849)

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Während in Deutschland in den letzten 30 Jahren die Suizidraten erheblich zurückgegangen sind, haben sich die Suizidraten in Südkorea im selben Zeitraum dramatisch erhöht und lagen im Jahr 2016 in etwa doppelt so hoch wie jene Deutschlands (26,9 bzw. 13,6 Suizide/ 100.000 Einwohner jährlich). Diese Diskrepanz wirft die Frage auf, ob unterschiedliche gesellschaftlich-kulturelle Bedingungen in den beiden Ländern sowie Unterschiede in der Suizidprävention und Therapie diese stark unterschiedlichen Entwicklungen plausibel erklären können. Zur Beantwortung dieser Fragestellung wurden zunächst soziologische, psychologische und psychiatrische Entstehungstheorien des Suizids rezipiert und anschließend philosophische, gesellschaftsideologische, demographische, sozioökonomische, psychologische und psychosoziale Faktoren, die auf Suizidalität in den beiden Ländern wirken, kulturvergleichend analysiert.
Textprobe:
Kapitel: 4 Suizid in der klinischen Psychologie
Die klinische Perspektive auf Suizid untersucht vor allem den Zusammenhang psychischer Störungen und psychiatrischer Auffälligkeiten mit suizidalem Verhalten. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Symptomen verschiedener psychischer Erkrankungen und dem Erleben unmittelbar vor einem Suizidversuch, wie zum Beispiel ausgeprägte Hoffnungslosigkeit und Einengung der Gedanken und Gefühle und eine pseudoaltruistische Aufwertung der suizidalen Handlung (affektive Störungen), die suggeriert, dass das Umfeld der betroffenen Person ohne diese besser dastehen würde. Auch akustische Halluzinationen wie zum Beispiel Stimmen, die zum Suizid auffordern (´Schizophrenie´) und die lebendige Vorstellung des eigenen Körpers nach einem Suizid (´Derealisation´) können eine Suizidhandlung motivieren.
4.1 Die Klassifikation von Suizidalität als psychischer Störung
Im ´Diagnostischen und Statistischen Manual psychischer Störungen´ (DSM- IV-TR, Saß, Wittchen, Zaudig & Houben, 2003) wird Suizidalität nicht als eigenständige syndromale Störung klassifiziert. Stattdessen wird suizidales Verhalten (Suizidideen, Suizidversuche) als ein Symptom für eine Major Depression (Kriterium A9) oder eine Borderline- Persönlichkeitsstörung klassifiziert. Hieraus wird ersichtlich, dass Suizidalität in einem engen kausalen Zusammenhang mit depressiven Störungen und ferner mit Borderline- Persönlichkeitsstörungen gesehen wurde und wird. Oquendo und Baca-Garcia (2014) wenden sich gegen diese Praxis und argumentieren, dass die ausschließliche Betrachtung von Suizidalität als Symptom seine angemessene diagnostische Erkennung und Dokumentation und damit eine effektive Suizidprävention behindern würde. Aufgrund dieser Insuffizienz sind die Autoren der Ansicht, dass bei der Generierung von kurzfristigen Prädiktoren für Suizid noch erhebliches Verbesserungspotential besteht. Weiterhin führen sie aus, dass die ausschließliche Klassifizierung als Begleitsymptom von einer Major Depression oder einer Borderline- Störung impliziere, dass Suizidalität bei anderen psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie, Suchterkrankungen oder posttraumatischer Belastungsstörung keine Rolle spiele. Dies steht im Widerspruch zur berichteten Assoziation dieser Störungen mit Suizidalität (siehe unten). Anders herum unternimmt ein Teil der Patienten mit Erkrankungen, die diagnostisch mit einem hohen Suizidrisiko in Verbindung gebracht werden, niemals einen Suizidversuch. Darüber hinaus muss suizidalem Verhalten nicht zwangsläufig eine andere psychische Störung vorangehen, auch wenn dies häufig der Fall ist (siehe unten). Schon Wilhelm Griesinger hielt fest: "Nicht die ganze psychologische und ätiologische Geschichte des Selbstmords gehört der Psychiatrie an, denn er ist nicht immer das Symptom oder Ergebnis einer psychischen Krankheit" (Griesinger 1845, S. 32)
In ´psychologischen Autopsiestudien´, die mit Hilfe unterschiedlicher Informationsquellen, zum Beispiel Krankenakten, der Befragung von Angehöriger, von behandelnden Ärzten und Psychotherapeuten die Suizidbildung nachzuvollziehen versuchen, wurden retrospektiv nur bei 40-70% der Suizidenten ausgeprägte depressive Verstimmungen festgestellt (Bronisch, 2014).
Eine chinesische Studie fand, dass 37% aller Suizidenten keine identifizierbare psychische Störung aufwiesen (Philipps, Yang & Zhang, 2002). Aufgrund dieser Widersprüchlichkeiten setzen sich Oquendo et al. (2014) für eine Klassifikation von Suizidalität als distinktes, eigenständiges Störungsbild ein. Die entsprechenden Kriterien für diagnostische Validität einer solchen Unterscheidung (Guze & Robins, 1970), wie beispielsweise die Existenz reliabler antezedierender, konkurrierender und prognostischer Kriterien, sehen sie als erfüllt an. Sollte dieser Vorschlag in einer neuen Version des DSM befolgt werden, könnte sich die Definition des Störungsbilds Suizidalität an der