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Stand: 2020-02-01
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Thomas Wünsch

Der weiße Adler


Geschichte Polens vom 10. Jahrhundert bis heute
1. Auflage. 2019. 312 S. s/w-Abbildungen farbiger VNS. 210 mm
Verlag/Jahr: MARIXVERLAG 2019
ISBN: 3-7374-1116-6 (3737411166)
Neue ISBN: 978-3-7374-1116-5 (9783737411165)

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GOLDENE FREIHEIT, TOLERANZ, FREMDBESTIMMUNG

Polen ist seit tausend Jahren ein Nachbarland Deutschlands, und doch erschöpft sich das Allgemeinwissen oft in wenigen, meist negativen Stereotypen. Dabei hat Polen in seiner Geschichte immer wieder sehr erfolgreiche Phasen zu bieten: als slawisches Staatswesen im Mittelalter, das die Zersplitterung überwinden und zu einem Königreich zusammenwachsen konnte; als adelige Republik in der Frühen Neuzeit, die für zahlreiche Nationen und Konfessionen eine friedliche Heimstatt war; und schließlich als Musterland der demokratischen Opposition im 20. Jahrhundert, als

der Gewerkschaft "Solidarnosc" der Ausbruch aus dem Staatssozialismus gelang. Thomas Wünsch erarbeitet und bewertet die Hauptlinien der polnischen Geschichte, informiert über alle Epochen und stellt die Verbindungen zur deutschen Geschichte heraus. Wer Polen, sein kulturelles Erbe und seine Rolle in Europa über die Zeiten hinweg verstehen will, liegt mit diesem Buch genau richtig.
Fokus: Der polnische Adel und der Sarmatismus

Juristische und ideelle Grundlage der polnischen Adelsgesellschaft war die prinzipielle Gleichheit des Adels. Der polnische Adel kennt keine rechtlichen Abstufungen, wie dies etwa für die "Heerschildordnung" im Römisch-deutschen Reich oder das "Mestni?estvo" in Russland gilt. "Szlachcic na zagrodzie równy wojewodzie" ("der Schlachtize auf seinem Hof ist dem Wojewoden ebenbürtig") - das geflügelte Wort zeigt, dass der arme "barfüßige Adel" der masowischen Grenzgebiete rein rechtlich gesehen den reichen Krakauer Standesgenossen gleich war und daraus sein Selbstbewusstsein bezog. Die Ausbildung dieser extrem-republikanischen Adelsverfassung war in Europa einzigartig. In ihrem Innern standen die vom Adel hochgehaltene Idee der Gleichheit (równo??), die "goldene Freiheit" (z?ota wolno??), die Brüderlichkeit (braterstwo, als Adelsbruderschaft), und die potestas absoluta der Szlachta. Auch wenn es eine kaum lösbare Frage bleibt, ob diese Gleichheit real oder virtuell war, ist nicht von der Hand zu weisen, dass gerade auch die Magnaten immer Wert auf den (formalen) Erhalt der Gleichheit in politischen Dingen gelegt haben.

Was aber bedeuten die zentralen Werte der polnischen Adelsgesellschaft? Konzentriert man sich auf den Begriff der Freiheit (wolno??), der eng mit dem Bereich des Rechts (prawo) zusammenhängt, dann bietet sich folgendes Bild: Spätestens in dem Moment, in dem die Monarchie nicht nur - in eingeschränkter Weise - eine Wahlmonarchie geworden war (d. h. im Vorfeld der Jagiellonenherrschaft), sondern auch eine parlamentarische Monarchie, beginnt der Siegeszug dieses Prinzips. Freiheit und (verbrieftes, "positives") Recht befinden sich in Harmonie, sichtbar etwa an der Konstitution "Nihil novi" von 1505. In jagiellonischer Zeit festigte sich dann die Ansicht, dass nicht der König herrsche, sondern das Gesetz (lex regnat, non rex). Es ging deshalb bei der adeligen Freiheit nicht nur um die Freiheit von etwas, sondern auch zu etwas: nicht nur um den Schutz vor einem widerrechtlichen Eingriff des Staates (bzw. des Königs) in die Angelegenheiten des Adels, sondern auch um die Möglichkeit der aktiven Teilnahme am Staatswesen, bis hin zur Königswahl. Die Schlagseite der polnischen Freiheitsidee bestand darin, dass sie nicht als Menschen- oder Naturrecht konzipiert war, sondern als soziale Errungenschaft: Freiheit war die Konsequenz aus der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft ("Klasse"), die den "freien Staat" bildete. Die natürliche Folge daraus war, dass die Basis des Staates, selbst bei einem relativ hohen Adelsanteil in Polen-Litauen, schmal war.
Wünsch, Thomas
Dr. Thomas Wünsch, geb. 1962, studierte Geschichte und Slavistik an der Universität Regensburg, wo er auch promovierte. Seine Habilitation absolvierte er an der Universität Konstanz. Seit 2003 ist er Ordinarius für Neuere und Neueste Geschichte Osteuropas und seiner Kulturen an der Universität Passau. Er ist Mitglied im Herausgebergremium mehrerer wissenschaftlicher Zeitschriften in Deutschland, Polen, Tschechien und der Ukraine sowie Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Deutschen Historischen Instituts in Warschau.